Wer heute Martin Luther verehrt, der durch die Übersetzung der Bibel ins Deutsche und den Anschlag seiner 95 Thesen in 1517 in Wittenberg berühmt wurde, dürfte sich wohl kaum bewusst sein, dass dieser Mann wiederholt zu Mord und Totschlag aufrief, Frauen missachtete, als Hexen verbrennen ließ und übelsten Antisemitismus predigte. Auch wenn man meinen könnte, Luthers radikale Äußerungen gehören allesamt der Vergangenheit an, so gab es doch 1944 ein trauriges Wiedererstehen, als seine Hetzreden auszugsweise zitiert und damit versucht wurde, den Mord an Millionen Menschen auf absurde Weise ideologisch zu rechtfertigen. Und dieses düstere Vermächtnis Luthers besteht weiter, solange er als „großer Deutscher“ verehrt wird. Wäre es also nicht dringend geboten, die dunklen Kapitel aus Luthers Weltsicht endlich allesamt öffentlich zu machen und aufzuarbeiten? Auch wenn dies bedeuten könnte, dass sich die lutherische Kirche konsequent von Luthers umstrittenem und unchristlichem Tun distanzieren müsste, wenn sie eine positive Rolle in der Gestaltung unserer demokratischen Gesellschaft einnehmen möchte. Wenn dies nicht passiert, wer steht dafür ein, dass bei einem künftigen schweren gesellschaftlichen Konflikt nicht wieder Ähnliches passiert und Gewalt gegenüber unschuldigen Menschen mit Luthers Lehren gerechtfertigt wird?
Korrektur Zitat: “Dass ein Fürst den Himmel eher mit Blutvergießen gewinnen kann” statt irrtümlich “Dass ein Volk den Himmel eher mit Blutvergießen gewinnen kann”.
2. Zitat stammt aus einem Aufruf zur Jahreswende 1943/1944 in: Thüringer Kirchenblatt und Kirchlicher Anzeiger Nr. 1 / 1944; Kirchenpräsident Rönck verändert dabei gemäß der geänderten äußeren Situation den Luther-Satz. Dieses Zitat wurde irrtümlich bei der Recherche verwechselt.